Ein bunter Cocktail


"Darf sich eine Sekretärin in ihren Chef verlieben?" fragte Aurora.
"Darf sich ein Chef in seine Sekretärin verlieben?" fragte Victor, und in seinem unverschämt gutaussehenden Gesicht blitzten tausend Lachfältchen.
Ihre Lippen suchten und fanden sich, und in ihren Körpern explodierte ein Feuerwerk der Leidenschaft.
"Aurora, du bist vollkommen", sagte Victor rauh. "Ich liebe dich, Aurora."
"Ich liebe dich auch", wollte sie sagen, doch er verschloß ihren Mund mit einem neuen Kuß.
"Ich lasse dich nie mehr los", sagte Victor, und sein Blick versank in ihren großen blauen Augen.
"Was ist mit Edith?" fragte sie bange.
"Wir haben uns getrennt", erwiderte Victor. "Unsere Liebe ist längst erloschen. Ich habe die Scheidung eingereicht. Ich liebe nur dich, Aurora."


ENDE


Victor legte ihr die Welt zu Füßen. Er entführte Aurora in eine weiße Villa auf einer Insel im Pazifik. Eines Tages kam sie eher als geplant von ihrem Einkaufsbummel zurück. Sie parkte ihr winziges rotes Cabriolet etwas weiter weg und schloß so leise wie möglich die Tür auf, denn sie wollte Victor überraschen. Sie hatte sich ein verführerisches Chiffonkleid gekauft, das sie bereits trug, mit Neckholder und sehr tiefem Rückenausschnitt.
Aus dem Schlafzimmer drangen merkwürdige Geräusche. Aurora ging auf Zehenspitzen und guckte durchs Schlüsselloch. Da sah sie ihre beste Freundin Liane und Victor im französischen Bett. Sie riß die Tür auf, gerade als er zum Höhepunkt kam.
"Liebling!" rief er. "Es ist nicht so, wie du denkst!"
Aurora warf die Tür zu. Sie nahm sich nicht die Zeit, zu packen. Mit dem nächsten Flieger wollte sie zurück nach München.
Aurora saß in der Wartehalle des Flughafens, als sie Liane erblickte, die auf sie zurannte.
"Hau ab!" rief Aurora außer sich.
"Falls du mich jetzt haßt", sagte Liane atemlos, "dann will ich dir nur sagen, daß ich nicht die Einzige bin. Und glaube nur nicht in deinem naiven Köpfchen, daß er wirklich vorhat, sich von Edith scheiden zu lassen."
In Frankfurt mußte Aurora umsteigen. Der Flieger kam wegen technischer Probleme verspätet an, und Aurora übernachtete in einem Hotel. Nur in dem teuerstem Hotel gab es noch Zimmer. Und ausgerechnet hier blieb der Fahrstuhl stehen. Aurora war außer sich.
"Warum drücken Sie nicht den Alarmknopf?" fragte der sympathische Herr im Maßanzug, der mit ihr in der Kabine stand.
"Ach ... ja", sagte sie und drückte mit zitternder Hand den Alarmknopf.
"Ich will Ihnen nicht zu nahe treten", sagte der Herr, "aber Sie wirken recht aufgewühlt."
"Das braucht Sie nicht zu kümmern", sagte Aurora kurz angebunden.
Sie hatte genug von den Männern, oh ja!
"Ich will mich Ihnen wenigstens vorstellen", sagte der Herr. "Ich bin Dr. Hendrik Berger."
"Ach, der Hendrik Berger?" staunte Aurora. "Der Staranwalt?"
"'Staranwalt' ist eine Erfindung der Presse."
"So habe ich Sie mir nicht vorgestellt ... entschuldigen Sie ..."
Er wirkte trotz seiner grauen Schläfen wie ein großer Junge. Tausend Teufelchen tanzten in seinen Augen.
"Und ich habe geglaubt, daß ich mich nie mehr in einen Mann verlieben könnte", dachte Aurora.


[ ... ]


"Da muß ich mir wohl eine neue Sekretärin suchen", sagte Hendrik bedeutungsvoll.
"Warum?" fragte Aurora bebend.
"Weil ich dich befördern will!" lachte Hendrik schelmisch. "Zu meiner Ehefrau!"
Aurora schlang ihm jubelnd die Arme um den Hals. Dann hielt sie plötzlich inne. Sie mußte an das dunkelhaarige Mädchen denken, mit dem sie Hendrik bei einem Luxus-Juwelier gesehen hatte.
"Was hast du?" fragte Hendrik besorgt.
"Beim Juwelier habe ich dich gesehen", erzählte Aurora stockend. "Mit einem Mädchen."
"Mit dunklen Haaren?" fragte Hendrik. "Langen dunklen Haaren?"
"Ja."
"Das Mädchen ... war meine Schwester", sagte Hendrik warm. "Sie wollte eine Kravattennadel für ihren Verlobten kaufen, und ich habe sie beraten."
"Entschuldige, daß ich so mißtrauisch war."
"Ich liebe nur dich, Aurora", sagte Hendrik rauh. "Und ich lasse dich nie mehr los!"


ENDE


"Du willst mir Hendrik wegnehmen!" fauchte Aurora.
"Du hast ein Problem mit mir?" lachte Brit. "Du hast ein Problem mit Hendrik, würde ich sagen."
"Was soll das heißen?"
"Du hast Hendrik doch vor drei Monaten geheiratet."
"Ja, und wir waren sehr glücklich - bis du kamst!"
"Ich bin Hendriks neue Sekretärin", nickte Brit. "Aber ich bin nicht die Erste, mit der er dich betrogen hat."
"Was sagst du da?"
"Hendrik war in der Hochzeitsnacht bei dir, nicht?"
"Das ist doch immer so in der Hochzeitsnacht."
"Habt ihr denn zusammen gefrühstückt?"
"Nein, er bekam einen wichtigen Anruf, er mußte plötzlich weg."
"Eben. Genau!"
"Was, du denkst ..."
Aurora rang nach Atem. Dann brach es aus ihr heraus:
"Du lügst! Du erzählst das nur, weil du eifersüchtig bist auf unser Glück!"
"Dann glaube halt, was du glauben willst", sagte Brit kühl. "Und werde selig damit."
Aurora dachte an das fremde Parfüm auf Hendriks Sakko. Sie dachte an den Damenstrumpf, den sie aus seiner Hosentasche gezogen hatte, als sie den Maßanzug in die Reinigung geben wollte.
Nein, so ging es nicht weiter. Aurora fuhr aufs Land, wo ihre Großtante ein Hotel besaß, ein verträumtes Berghotel. Unterwegs blieb sie mit ihrem winzigen Cabriolet liegen, weil sie vergessen hatte, zu tanken. Da hielt neben ihr ein Siebener-BMW, dem entstieg ein gutaussehender junger Mann in Sweatshirt und Jeans.
"Kann ich irgendwie helfen?" fragte er verschmitzt.
"Haben Sie vielleicht einen Reservekanister?" fragte Aurora zerknirscht.
Natürlich hatte er. Während er Super plus nachfüllte, konnte Aurora sich eine Frage nicht verkneifen:
"Warum trägt ein Mann, der einen Siebener-BMW fährt, Jeans und Sweatshirt?"
Da mußte der sympathische junge Mann laut lachen.
"Glauben Sie, daß wir immer nur im Maßanzug herumlaufen?" fragte er.
"Hendrik jedenfalls", sagte sie und biß sich auf die Unterlippe.
"Ist das Ihr Mann?" fragte der sympathische Fremde.
"Gewesen", antwortete sie und wunderte sich über sich selbst. "Nein, eigentlich ... wir sind noch verheiratet, aber ich habe mich von ihm getrennt."
"Das tut mir leid. Übrigens - ich bin Clemens von der Rosenheide."
"Ich heiße Aurora Berger."
"Clemens."
"Aurora", sagte sie mit einem tiefen Blick in seine grünen Augen, die sie irgendwie irritierten. "Wohnen Sie hier in der Gegend?"
"Wir waren doch schon beim Du?"
"Entschuldigung", haspelte sie. "Wohnst du hier in der Gegend?"
"Ja, meiner Familie gehört ein Rittergut, ein traditionsreiches Gestüt."
"Ach, das Rittergut?" staunte Aurora. "Das prachtvolle Rittergut?"
"Du kennst dich hier aus?"
"Ja, meiner Großtante gehört das Berghotel."
"Ach, das wunderschöne alte Berghotel!"
"Um mich zu bedanken, würde ich dich gerne einladen, wenn meine Großtante es erlaubt."


[ ... ]


"Kannst du mir noch einmal verzeihen?" fragte Hendrik mit rauher Stimme.
"Ich verzeihe dir", sagte Aurora, "und ich bin dir sogar dankbar. Wenn du mich nicht betrogen hättest, wäre ich nicht in die Berge gefahren und hätte Clemens nicht kennengelernt."
"Clemens?"
Hendrik tat ihr beinahe leid, wie er dastand mit offenem Mund.
Ein Jahr später heirateten Aurora und Clemens von der Rosenheide. Clemens küßte seine Braut vorm Altar und flüsterte:
"Jetzt gehörst du mir, mir allein, für immer! Ich liebe dich, Aurora."


ENDE


Für die Stallarbeit gab es Roßknechte, für das Geschäftliche gab es den Gutsverwalter, für das Haus gab es die Stubenmädchen und die Köchin, für die Kinder gab es das Kindermädchen. Aurora erstickte in Langeweile.
"Mach' doch irgendwas Ehrenamtliches", schlug Clemens vor. "Oder fang' an zu malen. Oder mach' Yoga ... oder Esoterik ... das mögen Frauen doch."
Nein, Clemens war nicht untreu. Er war der beste Mann der Welt. Nur im Bett ... was Aurora anfangs für Schüchternheit gehalten hatte, stellte sich mehr und mehr als schlichter Dilettantismus heraus.
"Ist das alles, was mir bleibt?" dachte Aurora. "Yoga und Esoterik?"
Dankbar nahm sie die Einladung auf eine Wellness-Farm an, die ihre Freundin Granya ihr schickte. Clemens hatte nichts dagegen, daß Aurora für einige Tage wegfuhr.
Abends saß Aurora mit Granya in der Wellness-Bar, beide in weißen Wellness-Anzügen, mit weißen Wellness-Stirnbändern und weißen Wellness-Sneakern.
"Kennst du den?" fragte Granya.
"Den Barkeeper?" fragte Aurora.
"Wenn ein Mann intelligent und sexy ist und gute Manieren hat, dann hat er meistens schon einen Freund."
"Ach so", sagte Aurora. "Der Barkeeper also auch."
"Tja", sagte Granya.
"Ich werde in die Stadt zurückkehren", sagte Aurora. "Ich will diesen Ehehimmel nicht mehr, der keiner ist. Ich will keine Pappmaché-Küsse und keinen Konserven-Sex."
"Probier' mal den Cocktail", sagte Granya und schob Aurora ein großes Glas hin.
"Was ist das denn?" staunte Aurora, als sie an dem Strohhalm saugte. "Das ist ja ein ganzer Obstgarten. Was ist da bloß alles drin?"
"Ich habe gesehen, was er in den Mixer getan hat: Grenadine, Crush-Eis, Zitronensaft, Orangensaft, ein Apfel, Vanillesirup, Cranberry-Nektar."
"Also, wenn man von Männern nicht mehr erwartet, als daß sie gute Cocktails mixen - dann, nur dann wird man nicht von ihnen enttäuscht."




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