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Der Tulpenstrauß
Tulpen stellt man auf den Tisch, wenn man Gäste erwartet. Einen Strauß mit altrosa Tulpen hatte ich heute morgen vom Gärtner geholt, und vor dem Küchenfenster ordnete ich sie in einer Vase.
"Daß es ein schöner Nachmittag wird, weiß ich", dachte ich. "Bei diesen Gästen weiß ich es. Es lohnt sich, für sie etwas herzurichten und den Tisch schön zu decken. Auf Theodore jedoch habe ich mich nie verlassen können. Für ihn konnte ich nie etwas vorbereiten, ihm konnte ich nie etwas schenken."
Die Erinnerung führte mich in die Zeit vor fünf Jahren. Theodore und ich waren uns wenige Male auf der Tanzfläche begegnet, als er mich ansprach und wir uns in den Armen hielten und nicht wußten, was uns aneinanderfesselte. Allmählich erkannte ich, daß es mir ernst mit ihm war. Daß es ihm auch ernst mit mir war, nahm ich an, denn er wollte mich schon nach vier Wochen heiraten.
Theodore legte Wert darauf, die Hochzeitsvorbereitungen allein zu regeln, und ich überließ sie ihm gerne. Eine prachtvolle Hochzeit war mir nicht wichtig. Mir war nur Theodore wichtig.
Die Tische sollten für die Hochzeitsfeier mit Tulpen dekoriert werden, altrosa Tulpen. Für den Brautstrauß sollten es aber keine Tulpen sein; "das paßt nicht", fand Theodore. So wurden es altrosa Rosen.
Das Brautkleid bestellte Theodore für mich im Internet. Sein Geschmack war meinem sehr ähnlich, und es gefiel mir.
Theodore war so eifrig mit dem Verschicken der Einladungen, dem Organisieren der Räumlichkeiten, dem Bestellen der Hochzeitstorte, dem Beauftragen des Partyservice und allem, was sonst dazugehört, daß ich mißtrauisch wurde. Mir war das alles zu schön, zu einfach. Als Theodore sich am Abend vor der Hochzeit von mir verabschiedete, fühlte ich mein Mißtrauen bestätigt. Ich bat ihn, zu bleiben. Er entschuldigte sich:
"Der Bräutigam kommt immer erst vor dem Standesamt dazu."
"Heute ist aber nicht immer."
"Laß' mir doch meinen Junggesellenabschied", schmeichelte er. "Wir haben einen Herrenabend. Weiter ist da nichts."
"Mir wäre es lieber, wenn du hier wärst."
"Aber ich darf doch die Braut nicht vor der Hochzeit sehen."
"Das Kleid kennst du doch längst."
"Ja, aber noch nicht an dir. Und darauf kommt es an."
"Mir kommt es darauf nicht an."
"Ehrlich ... ich bin morgen hundert... nein ... tausendprozentig da!"
Am Hochzeitsmorgen sagte ich zu allen Gästen - es war hundert an der Zahl -, daß ich nicht damit rechnete, daß Theodore erscheinen werde. Sie sollten sich auf ein nettes Festchen einstellen, aber nicht auf eine Hochzeit. Im Vorfeld hatte ich dafür gesorgt, daß Theodore alle Rechnungen bezahlte. So blieben mir wenigstens keine Schulden.
Wir feierten bis in die Nacht hinein und wurden lustig bei Wodka und Wein, aber ohne Theodore. Sein atemloses "tausendprozentig" sagte mir, daß er vorgehabt hatte, mich zu betrügen. Und als ich mit den Jungs aus meiner früheren Schulklasse, die mich als Braut hatten entführen sollen, um die Häuser zog, näherten wir uns wie von unsichtbaren Fäden gezogen mehr und mehr Theodores Elternhaus, das er mit seinen fünfunddreißig Jahren noch immer bewohnte. Für den Kohlenkeller hatte ich den Schlüssel. Wir schlossen auf, stürmten hinein und fanden Theodore auf seiner rostigen Gartenliege in eindeutiger Stellung mit der achtzehnjährigen Tochter eines meiner Begleiter. Theodore sprang auf und wollte sich rechtfertigen, da streckte ihn der entzürnte Vater mit einem Handkantenschlag zu Boden, und das, obwohl Theodore von ziemlich kräftiger Statur war. Die Achtzehnjährige wurde von ihrem Vater hinausgezerrt, wobei es dem Vater gleichgültig war, daß sie wenig anhatte und außerdem volljährig war. Für ihn war sie sein Kind, das er nicht einem Menschen wie Theodore ausliefern wollte.
Durch den Handkantenschlag konnte ich auf jede Diskussion mit Theodore verzichten. Ich war dankbar dafür. Und mein Begleiter war dankbar dafür, daß er meinetwegen seine Tochter aus Theodores Fängen hatte reißen können.
Über Theodore wußte ich damals nur wenig. Er hieß in Wirklichkeit Theodor Hegener. Als er dreißig wurde, fühlte er sich zu alt für sein Kinderzimmer und zog in den Kohlenkeller. Auf einer rostigen Gartenliege empfing er Damenbesuch. Er bestand darauf, daß es sich bei dem Kohlenkeller um ein Loft und bei der Gartenliege um eine postmoderne Einrichtung handelte. Das fand ich zuerst amüsant, nach der ersten Nacht jedoch bestand ich darauf, daß wir nach der Disco zu mir gingen statt zu ihm. Von Verabredungen konnte man bei unseren Discobesuchen allerdings nicht sprechen. Theodore sagte zu mir immer nur:
"Wenn ich da bin, bin ich da."
Und wenn er da war, sagte er:
"Siehst du, ich bin da."
Als er mich heiraten wollte, begann ich mich für seinen beruflichen Werdegang zu interessieren. Er mochte darauf jedoch nur ungern antworten. Er nannte sich "Lebenskünstler" und behauptete, immer genug Geld zu haben. Das stellte er zumindest im Hinblick auf die Hochzeitsvorbereitungen unter Beweis.
Zu meiner Freude verlangte Theodore nicht, daß ich zu ihm in den Kohlenkeller zog. Daß er hierfür praktische Gründe hatte, wurde mir erst nach unserer nicht stattgefundenen Hochzeit klar.
"Der bleibt doch nie bei einer", sagte meine Freundin Cilly zu mir, als wir in unserer Stammdiscothek auf der Galerie saßen und über Theodore lästerten.
Cilly kannte ein Mädchen, das über Theodore viel erzählen konnte. Und dieses Mädchen kannte eines, das auch viel über Theodore erzählen konnte. Und so kannte eines das andere, und einer Kette gleich reihte sich eins ans andere. Um die E-Mail-Kontakte, die sich hieraus ergaben, zu vereinfachen und die Mädchen untereinander in Kontakt zu bringen, rief ich das Forum "Detheorized" ins Leben. Es bekam den Untertitel "Theodore dethroned".
Abgründe taten sich auf. Immer mehr Mädchen und junge Frauen meldeten sich, aus vielen Regionen des Landes. Allen hatte Theodore einen Heiratsantrag gemacht, mit jeder die Vermählung vorbereitet, jede hatte er kurz vor der Hochzeit verlassen. Mal war er nicht im Standesamt erschienen, mal schrieb er der Verlobten am Hochzeitsmorgen eine SMS, daß Schluß sei. Mal rief er die Verlobte in der Nacht vor der Hochzeit an und hielt den Hörer so, daß sie mitbekam, in welcher Weise er mit seiner nächsten Geliebten beschäftigt war. Immer führte er Situationen herbei, in denen die Verlobte alleingelassen, bloßgestellt und gedemütigt wurde. Einmal rief er sogar eine verlassene Braut an und fragte sie:
"Habe ich dich verletzt?"
Sie wollte ihn ohrfeigen, das war jedoch durchs Telefon nicht möglich. Also sagte sie etwas nicht Druckbares zu ihm und schaltete ihr Handy aus.
Theodore war ein Heiratsschwindler, aber er griff nicht nach Geld und Vermögen. Ihm schien es nur darum zu gehen, jemanden alleinzulassen, bloßzustellen und zu demütigen.
"Wie vergißt man Theodore?" postete Henriette.
"Er hat nichts anderes verdient, als daß man ihn vergißt", postete Laura, "aber ausgerechnet diesen Typen kann man einfach nicht vergessen. Man kann nur davonlaufen!"
"Wenn mein neuer Freund nicht wäre, ich hätte mich aufgehängt", postete Sanina. "Nino hat mich gerettet."
Viele Mädchen gaben Theodore Tiernamen oder verwendeten für ihn Bezeichungen unterhalb der Gürtellinie. Sie schienen einen ungeheuren Bedarf zu haben, sich Luft zu machen.
"Wie konnte Theodore nur so lange so vielen Mädchen eine Hochzeit vorgaukeln, ohne daß sich das herumgesprochen hat?" postete Aurora. "Warum wußten wir diese Geschichten nicht längst schon?"
Es stellte sich heraus, daß sie alle geschwiegen hatten, weil sie glaubten, selber schuld daran zu sein, daß Theodore sie verlassen hatte. Sie hatten auch ihren Angehörigen auferlegt, über die Sache zu schweigen, weil sie durch ein Gerede noch mehr Demütigungen befürchteten. Hinzu kam, daß Theodore seine Bräute in immer wieder anderen Regionen suchte, wodurch ein Kontakt zwischen den verlassenen Mädchen wenig wahrscheinlich wurde.
"Als Theodore weg war, habe ich geglaubt, ich bin ihm eben nicht hübsch genug", postete Topas. "Er hat immer wieder gesagt, wie hübsch er mich findet, aber manchmal hat er auch Sachen gesagt wie:
'Du sieht heute aus wie ein Staubwedel. Aber ich liebe dich trotzdem.'"
"Und ich habe geglaubt, ich bin ihm zu dumm", postete Emily. "Er hat immer gesagt, wie wichtig ihm ist, daß eine Frau klug ist. Aber er hat nie gesagt, ob er mich klug findet."
"Er hat immer gesagt, daß ich von ihm noch viel lernen kann", postete Marianna. "Da habe ich geglaubt, er hält mich für vollkommen bescheuert, und es ist eine Ehre, daß er mich auserwählt hat und heiraten will."
"So hat er euch manipuliert", postete ich. "Das konnte ihm ja nur entgegenkommen."
"Warum hat er das getan?" postete Leandra. "Warum hat er uns das angetan?"
"Es scheint ihn zu befriedigen, wenn er andere demütigen kann", postete ich.
"Und dabei war ich mir so sicher, daß es ihm ernst ist!" postete Faith. "Er war so aufmerksam zu mir ... so liebevoll ..."
"Theodore habe ich wirklich geliebt", postete Sasa. "Und ich war sicher, nur ihn lieben zu können. Er hat mir ja auch versichert, daß er auf dieser Welt nur mich liebt."
"Für Theodore habe ich Torten gebacken, Kissen genäht und Kalender gebastelt", postete Maleen. "Er hat sich dann immer ganz doll gefreut und ist mir um den Hals gefallen und hat mich geküßt. Ich war sicher, daß ich seine Auserwählte bin."
"Er hat mich schon 'Clara Hegener' genannt", postete Clara.
"Theodore hat mir beigebracht, wie man Auto fährt", postete Daria. "Damals war ich siebzehn und wollte meinen Führerschein machen. Theodore hat gar kein Auto, aber sein Kumpel hat ihm seins geliehen. Stundenlang hat Theodore immer sonntags mit mir auf dem Parkplatz vom Supercenter geübt. Er hat gesagt, er kann es gar nicht abwarten, bis ich achtzehn bin, damit er mich endlich heiraten kann."
"Theodore hat gesagt, daß er durch mich erst weiß, was Liebe ist", postete Dina. "Er hat erzählt, er hat so lange nach der Frau gesucht, die er lieben kann, und er hat oft gedacht, daß er sie gefunden hat, das war aber dann nicht so."
"Theodore hat bestimmt, wo es langgeht", postete Griseldis. "Das war mir damals ganz recht. Ich hatte das Gefühl, er ist der Ritter auf dem weißen Pferd, der mich erlöst. Theodore hat mir alle Entscheidungen abgenommen, aber das hat mich nicht gestört."
"Theodore zuliebe habe ich mein Studium abgebrochen", postete Elina. "Er hat gesagt, Frauen, die studiert haben, sind alle so arrogant. Da habe ich gedacht, er mag mich nicht mehr, wenn ich studiert habe."
"Theodore hat mir das Gefühl gegeben, daß ich von ihm alles bekomme, was ich brauche", postete Kyra. "Deshalb habe ich auch solche Angst davor gehabt, ihm nicht mehr zu gefallen. Das hätte doch bedeutet, daß ich alles verliere, was ich brauche. Also habe ich alles getan, was er wollte, damit er mich nicht verläßt. Er war ja sonst auch immer nett zu mir. Aber er hat alles bestimmt. Ich hatte nichts zu sagen."
"Wenn ich das so lese, was Daria und die anderen hier posten, wird mir erst klar, wie Theodore uns alle belogen hat", postete Lilia. "Er hat keine von uns geliebt, da bin ich mir sicher. Er hat es nur behauptet, damit wir ihm vertrauen und er unser Vertrauen mißbrauchen kann."
"Wie können wir ihm das nur heimzahlen???" postete Sasa.
Nun kamen die Berichte der Mädchen, die von Theodore nicht nur Blumen, Geschenke, ritterliche Gesten und Aufmerksamkeiten bekommen hatten, ehe er sie kurz vor der Hochzeit verließ. Es kamen Berichte über Beschimpfungen, Schläge, Tritte ... Theodore schien nach jedem Ausbruch von Haß und Gewalttätigkeit die Verlobten erneut gefügig zu machen, indem er mit tränenerstickter Stimme um Verzeihung bat, auf die Knie fiel und ihnen die Füße küßte. Einmal wälzte er sich stundenlang im Staub, auf einer Bodentreppe vor der Mansarde eines siebzehnjährigen Mädchens. Das Mädchen hieß Zoë und war früh verwaist. Theodore erklärte, Zoë eine Familie bieten zu wollen. Aus diesem Grunde wolle er sie noch vor Erreichen ihrer Volljährigkeit ehelichen.
Am Hochzeitsmorgen stellte Zoë fest, daß sie schwanger war. Theodore forderte, daß sie die Schwangerschaft abbrechen ließ, anderenfalls werde er sie nicht heiraten. Zoë folgte seinem Wunsch. Die Hochzeit wurde nun auf Zoës achtzehnten Geburtstag festgesetzt. Theodore erschien in Begleitung eines fünfzehnjährigen Mädchens vor dem Standesamt und sagte zu Zoë:
"Ja, ich wollte dich heiraten, aber du bist ja schon volljährig, das ist mir zu alt."
Dann ging er mit dem fünfzehnjährigen Mädchen weg, das er dabei an sich drückte und heftig küßte.
"Was macht man mit einem solchen Menschen?" postete Dina. "Wie bestraft man so einen Menschen?"
"Das ist kein Mensch, das ist ein Monster", postete Merle.
Am meisten erschütterte das Posting von Ida; sie erzählte von ihrer jüngeren Schwester Amaryllis, die sich vergiftete, nachdem Theodore sie kurz vor der geplanten Hochzeit betrogen hatte. In ihrem Abschiedsbrief stand:
'Im Leben habe ich versagt, da will ich es wenigstens schaffen, zu sterben.'"
"Was machen wir mit Theodore?" postete Lilia. "Was hat so einer verdient?"
"Man kann nichts ungeschehen machen", postete ich. "Rache hat noch niemandem geholfen und keine Toten je wiedererweckt. Ich denke, wir tun am besten daran, noch mehr Untaten zu verhindern."
"Und wie sollen wir das machen?" postete Lilia.
"Wir erzählen überall in der Welt herum, was Theodore getan hat", postete ich. "Wir brechen unser Schweigen, damit jeder über Theodore Hegener bescheid weiß. Dann sind wenigstens die Mädchen gewarnt, die Theodore als Nächstes einzuwickeln versucht. Wenn sie dann doch auf ihn hereinfallen, wissen sie, wohin sie sich wenden können, wenn es das unvermeidliche böse Erwachen gibt."
"Gibt es das böse Erwachen denn immer?" postete Rhea. "Bist du dir da so sicher?"
"Man kann nie alles vorhersagen", postete ich. "Dies hier ist nur eine Sammlung von Erfahrungen. Sachlich ist es nicht, das kann und soll es auch nicht sein. Es geht nur darum, wenigstens hier eine Ecke zu haben, um den Erinnerungsmüll abzuladen."
"Vegleichst du Theodore mit Müll?" postete Cyris.
"Nicht Theodore als Mensch", postete ich. "Sein Verhalten ist es. Das ist schädlich, es vergiftet Menschen und ihre Beziehungen."
"Siehst du das nicht etwas zu einseitig?" postete Cyris.
"Theodore hat auch gute Seiten", postete ich, "leider werden die guten von den schlechten überdeckt."
"Er war als Kind oft einsam, hat er mir erzählt", postete Azura. "Vielleicht liegt es daran, daß er so geworden ist."
"Es gibt immer einen Grund", postete ich, "aber die Verantwortung für sein Verhalten trägt ein erwachsener Mensch letztlich selbst."
"Na, mit der Verantwortung hat Theodore es wirklich nicht so", postete Lilia.
"Theodore ist verantwortungslos, gewissenlos und charakterlos", postete ich. "Er ist für eine Beziehung schlicht ungeeignet. Er kann einer Frau nichts bieten außer Lügen und Betrug.
Theodore betrügt die Frauen hemmungslos und unaufhörlich. Immer wieder gaukelt er ihnen vor, sie seien seine einzig wahre Liebe, und immer ist es gelogen. Auch geschäftlich belügt und betrügt er andere, wo er kann. Er ist durchtrieben und nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
Theodore empfindet eine perverse Lust daran, andere Menschen zu enttäuschen und ihnen Schaden zuzufügen. Einen besonderen Haß scheint er auf die Frauen zu haben. Er scheint einen Unterschied zu machen zwischen 'Menschen' und 'Frauen'. Das heißt, er scheint die Frauen nicht als Menschen zu betrachten. Was er in ihnen sieht, ist mir noch nicht klar. Jedenfalls scheint es ihm wichtig zu sein, stets mehr als nur eine Frau zur Verfügung zu haben, die er quälen und demütigen kann.
Es hat keinen Sinn, Theodore in Schutz zu nehmen. Täglich höre ich neue Erzählungen, was er anderen Menschen angetan hat. Die Kette reißt nicht ab, es geht ins Groteske."
"Wenn du Theodore so sieht, wie kannst du dann noch sagen, daß du ihn liebst?" postete Dina.
"Das verstehe ich auch nicht", postete ich. "Die Liebe zu Theodore bleibt immer gleich, egal was er tut, das ist mir fast unheimlich, und es ist mir zuwider, weil er mich in keiner Weise verdient. Er ist mich nicht wert.
Mein Gefühl, das mich sonst immer so sicher leitet, trügt mich offenbar in diesem Fall. Ich nehme an, ich liebe in Theodore einen Menschen, den ich in Wirklichkeit nie gefunden habe, mir ist nur ein schlechtes Imitat begegnet. Es ist, als würde man auf einem Rechner verzweifelt nach einem bestimmten Programm suchen und nur eine schlechte Kopie finden, die mehr schadet als nützt."
"Dann viel Spaß mit deinem Imitat", postete Cyris.
Dem meisten verlassenen Bräuten von Theodore schien bereits dadurch geholfen zu sein, daß sie erzählen konnten, was sie belastete und worüber sie lange geschwiegen hatten. Fast alle lebten mittlerweile in neuen Beziehungen und warfen in dem Forum "Detheorized" einen bedrückenden Schatten der Vergangenheit ab. Selbst wenn sie Theodore nicht vergessen konnten, sie waren doch fast alle imstande, jemand anderem ihr Herz zu schenken.
Bisweilen hatte ich das Gefühl, allein in einer Mondlandschaft zu stehen, der Trümmerlandschaft von Theodores Persönlichkeit. Er war inzwischen nicht nur seelisch, sondern auch körperlich ein Wrack. Wäre er nicht so bösartig gewesen, er hätte er mir leid tun können. Die Jahre und die Drogen hatten seinen Körper abgenagt wie die Geier ein Skelett in der Wüste.
Der nervöse Theodore, der sich durch das Zusammenschlagen seiner Verlobten abreagierte, der von Magenkrämpfen gequälte Theodore, der sich durch hektischen Zigarettenkonsum abzulenken versuchte, der von Panikzuständen bedrängte Theodore, der sich von allen Seiten verfolgt sah - das waren die Gesichter eines Menschen, der sich im Leben nur Feinde und Sklaven geschaffen hatte.
Die Sklaven flohen nach und nach, die Feinde blieben. Und Theodore war überzeugt, daß ich sein größter Feind war und daß niemand ihn so haßte wie ich. Daß ich ihn liebte und daß ich der vielleicht einzige Mensch war, der ihm gerne geholfen hätte - das konnte Theodore mir nie und nimmer glauben.
Also half ihm keiner. Er starb an Magenkrebs, einer Folge seines hektischen Zigarettenkonsums. Die häufig gestellte Frage "Wie schafft Theodore es immer noch, blutjunge Mädchen zu verführen, wenn er sichtbar älter wird?" entfiel durch seinen frühen Tod.
Theodore Hegener wurde vierzig Jahre alt, hatte dreiundzwanzig Bräute kurz vor der Hochzeit verlassen, hatte dafür gesorgt, daß seine Kinder nicht zur Welt kamen - es waren insgesamt vier ... und er konnte auf den Selbstmord eines jungen Mädchens zurückblicken, das sich vergiftet hatte, nachdem er es betrog. Dieser Bilanz gesellte sich seine berufliche Karriere hinzu. Er hatte es geschafft, vierzig Jahre alt zu werden, ohne aus seinem Elternhause auszuziehen und einer geregelten Arbeit nachzugehen. Er hatte es geschafft, nach außen durch die schillernde Gestalt eines "Lebenskünstlers" zu beeindrucken, ohne jemals mehr zu besitzen als ein Taschengeld, das ihm durch die Finger rann. Und eines Tages gelang es Theodore sogar, verläßlich einen festgesetzten Termin einzuhalten: seine Beerdigung.
Hiermit sind wir wieder beim Anfang der Geschichte - dem Tulpenstrauß. Einen Tulpenstrauß kauft man für jemanden, mit dem man verabredet ist und auf den man sich verlassen kann. Und weil ich mich auf Theodores Anwesenheit bei seiner Beerdigung einigermaßen verlassen konnte, kaufte ich einen schönen frischen Strauß altrosa Tulpen für ihn, garniert mit Schleierkraut. Theodore war tatsächlich anwesend. Ich warf den Strauß in sein Grab.
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